Taktile Markierung: Auf den Flaschen für Pflegespülungen befinden sich zwei Reihen mit erhobenen Punkten. Auf der Rückseite der Shampoo-Flaschen ist eine Reihe erhabener Linien aufgebracht.

Bilder: Domino

Taktile Markierung von Haarpflege

Nicht jeder kann Braille

Shampoo und Pflegespülung? Für ­Menschen mit einer Sehbehinderung oder eingeschränktem Sehvermögen kann die Unterscheidung dieser Produkte unter der Dusche eine echte Herausforderung sein. P&G fand eine erfolgreiche Lösung.

„Die meisten Flaschen für Shampoos und Pflegespülungen sind so konzipiert, dass sie gleich aussehen und sich auch gleich anfühlen“, erklärt Sumaira Latif, Company Accessi­bility Manager bei P&G, die selbst blind ist. „Uns ist klar geworden, dass wir eine Riesenchance haben, Menschen mit einer Sehstörung das Leben zu erleichtern, wenn wir unsere Produkte und Verpackungen verändern – und wenn wir andere Unternehmen dazu ermutigen, das Gleiche zu tun.“ Wer jetzt an Brailleschrift denkt, liegt nicht ganz richtig. Wie Latif erklärt, werde diese nur von sehr wenigen Blinden oder Menschen mit einer Sehstörung genutzt. „Die meisten Menschen mit einer Sehstörung können die Brailleschrift nicht lesen – es dauert Monate oder sogar Jahre, sie zu erlernen, und man muss schon in jungen Jahren damit anfangen, um die nötige Sensibilität zu entwickeln. Bei den meisten Menschen tritt eine Sehstörung erst später auf und dann ist Braille keine Option mehr“, erklärt sie. Deshalb sei es P&G wichtig gewesen, ein Merkmal zu erfinden, das universell erkannt und auch von Menschen genutzt werden kann, die keine Gelegenheit zum Erlernen der Brailleschrift hatten.

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Erste Schritte zur taktilen Markierung

Gemeinsam mit ihren Kollegen bei P&G entwickelte Latif die Idee, die Flaschen mit tastbaren Kerben zu versehen, um sie durch Berührung leicht unterscheiden zu können. Daraufhin begann P&G damit, bei der Linie Herbal Essences bio:renew, die aus Shampoos und Pflegespülungen besteht, mit einem neuen Design und einer taktilen Markierung zu experimentieren. „Wir möchten allen Menschen dabei helfen, mit ihren Händen zu sehen”, erklärt Latif und fährt fort: „Ein einfaches Unter­scheidungs­­­merkmal hilft nicht nur Menschen mit geringer oder fehlender Sehkraft, sondern auch Menschen, deren Mutter­sprache nicht Englisch ist oder die normaler­weise eine Brille oder Kontaktlinsen tragen. Sie würden staunen, wie viele körperlich ge­sunde und sehende ­Men­schen mir erzählen, dass sie unter der Dusche Shampoo und Pfle­ge­spülung verwechseln.“ Um die Designkosten und die Auswirkungen auf die Produktion so gering wie möglich zu halten, suchten Latif und ihre Kollegen nach einer Lösung, mit der die nötigen taktilen Markierungen auf bereits vorhandene Flaschen auf­gebracht werden konnten, anstatt neue Flaschen inklusive der tastbaren Markierungen her­stellen zu müssen. Das Ätzen der Markierungen mit einem Laserbeschrifter während der Produktion schien die ­optimale ­Lösung zu sein.

Allerdings wusste das Team, dass es schwierig werden würde, die Flaschen ohne Beeinträch­tigung der Verpackung und ohne erhebliche Auswir­kungen auf die Pro­duktionsgeschwindigkeit zu markieren. „Uns war von Anfang an klar: Wenn der neue Ansatz erfolgreich sein soll, darf er die Produktivität nicht ­beeinträchtigen. Wir verarbeiten in jeder Abfülllinie Hun­derte Flaschen pro Minute. Wenn man es mit solchen ­Mengen zu tun hat, dann ist die Änderung eines Ferti­gungsablaufs keine Kleinigkeit. Deshalb brauchten wir eine Lösung, die sich in unsere bestehenden Produktionslinien integrieren lässt, ohne sich zu sehr auf deren ­Geschwindigkeit auszuwirken“, erklärt Latif.

Partnerschaft mit Domino

„Mit unserem Auftrag wandten wir uns an verschiedene Anbieter für Kennzeichnungs- und Markierlösungen. ­Domino erwies sich als der einzige Hersteller, der daran ­interessiert war, gemeinsam mit uns das ideale Design und die beste ­Lösung für die Gestal­tung der Markierungen zu finden. Am Anfang war es eine ziemlich entmutigende ­Aufgabe. Wir wussten einfach nicht, wie wir sie angehen sollten“, erläutert Kevin Higgins, Beauty Care Engineering Director bei P&G. Der entscheidende Faktor war vor allem das iterative Testen von Designs, um die beste Lösung für ein inklusives Flaschendesign zu finden. Domino lud das P&G-Team in seine Laser Academy nach Hamburg ein. Das gewählte Design besteht nun aus einer Reihe erhobener Linien unten auf der Rückseite der Shampooflaschen. Auf den Flaschen für Pflegespülungen befinden sich an der gleichen Stelle zwei Reihen mit erhobenen Punkten. Für den Erfolg des Projekts war entscheidend, dass der Laser keine Einstiche in den Flaschen hinterlässt oder die Barrierefunktion des Substrats schwächt. Das Laser-Team identifizierte den Bereich unterhalb des Etiketts auf der Rückseite der Flaschen, wo der Kunststoff am dicksten ist, als die beste Stelle für die taktile Markierung. Hier lässt sie sich leicht finden – und die Integrität der Verpackung bleibt unberührt.

Substrat bleibt unbeschädigt

Die CO2-Lasersysteme der Domino-D-Serie haben in ersten Mustertests laut Domino die ursprüngliche wissenschaftliche Analyse bestätigt, und die erforderlichen senkrechten Linien- und Kreismarkierungen erfolgreich aufgebracht. So entstand eine taktile Markierung, die das Substrat nicht beschädigt. Die Laser-Spezialisten von Domino verwendeten ein 3-D-Mikroskop, um die Ätztiefe bei neun verschiedenfarbigen PET-Flaschen (dem Flaschensubstrat von Herbal Essences) mit zwei unterschiedlichen Markiermodi (in der ­Bewegung und stationär) zu analysieren. Die Absorptionsrate der ­farbigen Flaschen wurde mit einem FTIR-Spektrometer gemessen, um eine mögliche Korrelation zwischen Markier­tiefe und Kunststofffarbe zu untersuchen. „Wir haben festgestellt, dass die Laser­absorption bei den getesteten Wellen­längen von der Flaschenfarbe unabhängig ist“, erklärt Dr. Stefan Stadler, Teamleiter der Domino Laser ­Academy. Die gleiche Lösung lasse sich mit PET in anderen Farben replizieren. Das bedeute, dass sie von zahl­reichen Produktmarken unab­hängig von der Farbe ihrer Flaschen übernommen werden könnte. Es dürfe also auch für andere Hersteller kein Problem darstellen, dem Beispiel von P&G zu folgen, und die gleiche Markier-Methode anzuwenden. Um sicherzugehen, dass die Laserlösung die Produkt­verpackung nicht beein­trächtigt, testete das Laser-Team von Domino die Laserparameter über eine Woche, um die am besten geeigneten Spezifikationen festzulegen. Ein Bericht über das 3-D-Profiling mit einer Schil­derung des Testverfahrens bestätigte, dass sich die Einführung dieser zusätz­lichen Markierung an keinem Punkt der Liefer­kette nachteilig auf die Integrität des Produkts auswirken würde. „Von dem Moment an, wenn der Verbrau­cher das Produkt zum ersten Mal im Regal sieht, bis zu dem Moment, wenn er den letzten Tropfen aus der Flasche drückt, ist eines ganz wichtig, nämlich, dass er mit seinem Kauf rundum zufrieden ist“, sagt Higgings. Die Flaschen müssten daher nicht nur gut aussehen, sondern auch während der gesamten Nutzungsdauer ihren Zweck erfüllen.

An der Domino Laser Academy in Hamburg arbeiten rund 120 Mitarbeiter an der Entwicklung, Produktion und Vermarktung der Laser­kenn­zeichnungssystemen.

Validierung der Lösung

Um sicherzugehen, dass der neue Ansatz mit Linien und Punkten bei den Verbrauchern gut ankommen würde, stellte P&G die frisch markierten Flaschen von Herbal ­Essences bio:renew dem britischen Königlichen National­institut für blinde Menschen (Royal National Institute für Blind People, RNIB) zum Testen zur Verfügung. Bei der anschließenden Befragung einer Fokus­gruppe aus Verbrauchern mit einer Sehstörung befürwortete die Mehrheit das neue inklusive Flaschendesign. Nach dem Erfolg des Verbraucher­feed­backs begann P&G im Januar 2019 damit, die CO2-Lasersysteme von Domino zur Markierung der Herbal Essences bio:renew Flaschen für Shampoos und Pflege­spülungen an verschiedenen US-Fertigungsstandorten und bei ausge­wählten Verpackungs­partnern einzu­setzen. „Normalerweise konnte ich bei so einer Flasche nicht mal die Aufschrift lesen und wusste nie, was drin ist“, gibt beispielsweise Liz Lyons, Mit­eigen­tümerin von Focal Pointe Eye Care, als positive Rückmel­dung. „Dass man jetzt am Flaschenboden ertasten kann, worum es sich handelt, wird das Leben vieler Menschen wirklich verändern.“

Auch Holly Bonner, Eigentümerin von BlindMotherhood.com bestätigt, dass sie in der Dusche nun keine Klebepunkte oder Gummibänder mehr brauche, um sie unterscheiden zu können. Nach dem Erfolg des Tests führte P&G das inklusive Design für alle Shampoos und Pflegespülungen von Herbal Essences bio:renew ein.