Kennzeichnen
„Unabhängig sein“
Eine Schnapszahl hat dieses Jahr Leibinger zu feiern: 77 Jahre – noch immer ein Familienunternehmen. Über Mitarbeitergewinnung, intelligente Systeme und globale Lieferketten hat COO Jan van het Reve mit packREPORT-Redakteurin Melanie Sachs gesprochen.

Bilder: Leibinger
Herr van het Reve, alle reden vom Fachkräftemangel, wie sind Sie bei der Nachwuchsfindung aufgestellt?
Jan van het Reve: Gute Mitarbeiter zu bekommen, bleibt aus unserer Sicht herausfordernd. Wir unternehmen einige Anstrengungen, um für Auszubildende, Fachkräfte und Leitungspersonen als attraktiver Arbeitgeber sichtbar und attraktiv zu sein. Wir nehmen zum Beispiel an Jobbörsen, wie der Azubibörse in Tuttlingen teil oder betreiben regionales Sponsoring von diversen Events und Vereinen. Dadurch und weil wir mit unseren High-Tech-Produkten spannende Zukunftsperspektiven bieten, gelingt es uns jedes Jahr aufs Neue, gute und motivierte Azubis und Fachkräfte zu finden. Wir bilden immer wieder auch junge Frauen sehr erfolgreich in unseren Ausbildungsprogrammen aus. Viele von Ihnen arbeiten bis heute bei Leibinger in spannenden und wichtigen Positionen. Allerdings stellen wir immer noch fest, dass die Nachfrage von weiblichen Auszubildenden auf technische Berufsausbildungsplätze deutlich hinter der Nachfrage durch männliche Auszubildende hinterherhinkt. Wir freuen uns, wenn unsere Ausbildungs- und Jobangebote auf Interesse stoßen – ganz unabhängig vom Geschlecht. Und mit einer Frau an der Spitze der Unternehmensleitung setzen wir ganz klar ein Zeichen, dass bei uns Frauen in allen Unternehmensbereichen sehr willkommen sind.
Anzeige
Wie sehen Sie das Thema Künstliche Intelligenz, wie lässt sich dies effizient im Bereich der Kennzeichnung einsetzen? Leibinger hat ja das erste intelligente Coding & Marking System der Welt entwickelt.
van het Reve: Intelligente Systeme sind für uns Technologien, die in sich schlüssig funktionieren und ein Problem an der Quelle lösen, statt nur symptomatisch zu bekämpfen. Das Ziel ist es, Anwendern unnötige Arbeit abzunehmen und Prozesse stabil und effizient zu machen. Ein gutes Beispiel dafür ist unser automatischer Düsenverschluss, welcher in all unseren Kennzeichnungssystemen eingebaut ist. Eine speziell entwickelte Mechanik verschließt automatisch in Produktionspausen den kompletten Tintenkreislauf in unserem Drucksystem luftdicht, sodass keine Tinte antrocknen kann. Dies verringert nicht nur Reinigungsarbeiten am Drucker, sondern reduziert auch den Verbrauch und schont Umwelt und Geldbeutel. KI ermöglicht für uns in diversen Teilbereichen, unser System weiter zu verbessern. So wird KI nicht nur in der Softwareentwicklung eingesetzt, sondern auch innerhalb der Druckersoftware ermöglicht KI die Weiterentwicklung von Algorithmen, die unsere Druckqualität und die Zuverlässigkeit der Systeme steigern. Unsere Systeme werden immer intelligenter und autonomer und benötigen kaum noch Wartung, was in Zeiten von Fachkräftemangel einen großen Vorteil darstellt. Natürlich beschäftigen wir uns auch darüber hinaus mit Zukunftstechnologien, die in den nächsten Jahren an Relevanz gewinnen werden, zum Beispiel in der weiteren Digitalisierung der Produkte und Automatisierung der Prozesse.
Worauf kommt es aktuell beim Kennzeichnen an?
van het Reve: Die Welt wird immer vernetzter, digitaler und erfasste Daten können intelligenter ausgewertet und genutzt werden. Physische Produkte werden mit digitalen Informationen verknüpft, ermöglichen effizientere Prozesse und höhere Produktsicherheit. Kennzeichnungsgeräte werden dazu genutzt, Produkte individuell erkennbar zu machen, sozusagen zu identifizieren. Wichtige Produktinformationen liegen dem Kennzeichnungsgerät dabei jederzeit in Form digitaler Informationen zum Produkt vor. Kennzeichnungssysteme, welche variable Daten in hoher Geschwindigkeit und hoher Informationsdichte, zum Beispiel mittels 2D-Code aufbringen können und gleichzeitig Informationen zu den Produkten haben, werden in solchen Anwendungen benötigt.
Wo, beziehungsweise in welcher Branche liegt die größte Herausforderung beim Kennzeichnen?
van het Reve: Die Herausforderung liegt in der Vielfalt der Anwendungen, wobei dies gleichzeitig ein Vorteil unseres Geschäfts ist. Jede Branche hat andere Anforderungen an die Art und Weise der Kennzeichnung, an Geschwindigkeit der Kennzeichnung oder an die Integration in die Produktionsumgebung. Bei der Kabelherstellung beispielsweise geht es um höchste Geschwindigkeiten. In der Lebensmittelherstellung um Hygienevorschriften. Von Kunststoffen über Metall bis Holz oder Glas, alle denkbaren Oberflächen müssen direkt bedruckt werden können, wofür die richtige Tintenauswahl entscheidend ist. Dafür gibt es bei uns spezielle Anwendungslabors, in denen über 70 Systeme mit den verschiedenen Tinten laufen oder reale Produktionsbedingungen nachgestellt werden können. In der Vielfalt an Anwendungen mit ihren unterschiedlichen Anforderungen zeigen die Systeme von Leibinger ganz besonders ihre Stärken. Sie sind nämlich extrem flexibel einsetz- und an jede Umgebung adaptierbar. Diese breite Branchenabstützung unseres Geschäfts ist ein Riesenvorteil, da wenig Abhängigkeit von einzelnen Branchenentwicklungen vorhanden ist.
Leibinger hat unter anderem eine eigene Blechfertigung und eigene Tintenproduktion. Lohnt sich das?
van het Reve: Die vergangenen Jahre haben uns anhand einiger Beispiele konkret vor Augen geführt, dass Abhängigkeiten von Zulieferern und komplexe globale Lieferketten zu massiven Einbußen in Punkto Lieferfähigkeit, Kostenstabilität oder Qualität führen können. Denken Sie an die gestörten Lieferketten in Folge der Covid-19-Krise oder die aktuellen Entwicklungen im globalen Zollstreit. Auch wenn wir Teil der globalen Wirtschaft sind, möchten wir uns trotzdem so gut es geht unabhängig von solchen Disruptionen machen beziehungsweise diese Risiken managen. Unser höchstes Gut bei Leibinger ist unsere Qualität und die Möglichkeit, zu stabilen Kosten konstant produzieren und zuverlässig liefern zu können. Aus diesem Grund verfolgen wir eine konsequente Strategie, alle geschäfts- und qualitätskritischen Wertschöpfungsanteile in eigener Kontrolle zu haben. Die Investition in die eigene Tintenproduktion ist dafür ein gutes Beispiel, denn wenn die Versorgung der Kunden mit Tinte nicht oder in schlechter Qualität erfolgt, hat dies sofort Auswirkungen auf deren Produktion und Performance bis zur Produktionsunterbrechung.

Redakteurin Melanie Sachs (links) und COO Jan van het Reve (rechts) am Leibinger-Hauptsitz in Tuttlingen.
Leibinger ist weltweit vertreten. Welche Märkte sind für Sie besonders spannend, welche Herausforderungen gibt es global für Ihr Unternehmen?
van het Reve: Wir sind in rund 120 Ländern mit rund 150 zertifizierten Leibinger-Partnern vertreten. Aufgrund ihrer Dynamik und hohen Wachstumsraten sind natürlich einige süd- beziehungsweise südostasiatische Märkte sehr spannend. Auch China entwickelt sich für Leibinger sehr erfreulich, speziell, seit wir vor rund drei Jahren eine eigene Niederlassung gegründet haben. Herausforderungen wird es immer geben. Natürlich steht der US-amerikanische Markt derzeit besonders im Fokus und die globalen Auswirkungen der verfolgten Politik lassen sich derzeit kaum abschätzen. Wir versuchen uns mit den uns zur Verfügung stehenden Möglichkeiten auf diverse Szenarien vorzubereiten, um, wenn notwendig, schnell und bestimmt reagieren zu können. Die derzeitige Verunsicherung ist aber schon ein Problem und wir werden zumindest temporär negative Auswirkungen durch das derzeitige Umfeld in den USA und in ganz Nordamerika sehen.