Den Spritzgießprozess stabilisieren
Prozesssichere Rezyklat-Verarbeitung
Bei der Verarbeitung von Post-Industrial- (PIR) und Post-Consumer-Rezyklaten (PCR) sowie von Biokunststoffen können die Material- und Verarbeitungseigenschaften stärker schwanken. Für einen effizienten Rezyklat-Einsatz sind daher steuertechnische Regelkonzepte erforderlich, die eine konstante Formfüllung und letztlich eine gleichbleibende Qualität der Endprodukte sicherstellen.
Bilder: Arburg
Verschiedene Gremien, Bewegungen und Initiativen forcieren, geschlossene Kreislaufsysteme zu etablieren. Auch wenn sich dies aktuell noch nicht wirtschaftlich rechnet, lautet das Ziel, die Verwendung fossiler Ressourcen mittel- und langfristig deutlich zu reduzieren. In diesem Zusammenhang gewinnt die Verarbeitung von Rezyklaten an Bedeutung. Dies ist aber aufgrund wachsender Bandbreite der Materialien, ihrer unterschiedlichen Herkunft und Aufbereitung sowie ihres inhomogenen Verarbeitungsverhaltens anspruchsvoll. Gleiches kann auch für Chargenschwankungen bei Neuware oder für ungenügend vorbereitete Granulate gelten. Die Spritzgießverarbeiter müssen sich hier neuen Herausforderungen stellen. Aus Maschinensicht werden beim Spritzgießen zwei große „Black Boxes“ abgearbeitet, welche maßgeblich die Prozessstabilität und die Bauteilqualität beeinflussen. Denn die Maschine selbst weiß weder, welches Material in den Trichter eingefüllt wird, noch was zwischen den beiden Aufspannplatten passiert. Dies sind zwei große Herausforderungen, wenn es darum geht, Prozessparameter wie Temperaturverlauf der Formmasse sowie Temperatur- und Druckverlauf im Werkzeug zuverlässig zu regeln. Der größte Unterschied zur Verarbeitung von Rezyklaten gegenüber Neuware besteht darin, dass die Materialeigenschaften und Kennwerte wie mechanische Qualität, Farbe oder Geruch innerhalb einer Lieferung oder eines Auftrags in größeren Spannbreiten variieren können. Weil dem recycelten Granulat bei den meisten Kreislaufprozessen aktuell keine eindeutige Materialspezifikation zugeordnet werden kann, steht beim Einrichten der Maschine kein Datenblatt zur Verfügung. Das erschwert die Verarbeitung erheblich.
Einflussgröße Aufschmelzprozess
Ein homogener und stabiler Aufschmelzprozess beginnt damit, dass das Material möglichst gleichmäßig in die Schnecke eingezogen wird. Dabei spielen die Form und Qualität des Rezyklats eine wichtige Rolle. So können Flakes in Größe und Form sehr uneinheitlich sein. Mahlgut wiederum besteht aus verschieden großen Bruchstücken, idealerweise in Korngrößen von zwei bis fünf Millimetern. Begleitet werden diese Körner meist von feinerem bis hin zu staubförmigem Material. Um einen stabilen Aufschmelzprozess zu erhalten, muss Mahlgut entstaubt werden.
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Rezyklat-Paket für Verarbeitung von Mahlgut und Flakes
Für die Verarbeitung solcher Materialien gibt es ein nachrüstbares Rezyklat-Paket von Arburg, das Soft- und Hardware-Features zusammenfasst. Zur Software zählen zum Beispiel mehrstufige Anfahrparameter und die digitale Assistenzfunktion aXw Control ScrewPilot, die für eine präzise und stabile Formfüllung sorgt. Bei der Hardware-Ausstattung ermöglicht ein modifiziertes Zylindermodul eine unterbrechungsfreie Zufuhr auch schlecht rieselnder Materialen. Eine Plastifizierschnecke mit modifizierter, tiefer geschnittener HC-Geometrie (High Compression) dient einer homogenen Aufbereitung. Dabei fungieren Nuten im Einzugsbereich als Einzugshilfe, damit das Material trotz unregelmäßiger Form stabil nach vorne gefördert wird. Zudem ist die Schnecke CrN-beschichtet, was Belagbildung und Verschleiß aufgrund unerwarteter Fremdkörper reduziert.
Jahrelange Entwicklungsarbeit
Bereits 1988 entwickelte Arburg deshalb eine in die Steuerung „integrierte Spritzprozessregelung“, welche die Nachdruckkurve über einen Drucksensor im Werkzeug in Echtzeit regelt. Diese Softwarefunktion wurde stetig zum aXw Control ReferencePilot weiterentwickelt. Als Basis für die aktive Regelung in der Nachdruckphase, bei welcher der aktuelle Nachdruck dem Innendruck nachgeführt wird, zieht der ReferencePilot die Sollwert-Referenzkurve eines Gutteils heran. Als zugehörige Hardware ist ein möglichst angussnah im Werkzeug platzierter Drucksensor erforderlich. Die Funktionsweise ist vergleichbar mit dem Autonomen Fahren:
Regelkonzept für den Kernprozess „Form füllen“
Ein von Zyklus zu Zyklus reproduzierbares Füllen der Werkzeug-Kavität bildet die Grundlage für eine gleichmäßige Bauteilqualität. Ein erfolgreiches Steuerungskonzept hierfür ist die Pilotfunktion aXw Control ScrewPilot beziehungsweise „lagegeregelte Schnecke“, bei dem der Füllvorgang durch eine geschwindigkeitsgeregelte Schneckenbewegung mehrstufig an die Anforderungen des Fließwegs angepasst wird. Dieses Konzept lässt sich vergleichen mit dem Fahrassistenten für Pkws: Weicht die Bewegung (hier der Schnecke) durch Störeinflüsse (etwa Schwankungen der Viskosität in der Kunststoffschmelze) von der programmierten Geschwindigkeit ab, wird diese so geregelt, dass trotzdem der Weg in vorgesehener Zeit erreicht wird. Das aktive Beschleunigen und Bremsen gleicht also Störeinflüsse dynamisch aus, sodass eine konstante Schmelzemenge in die Kavität gefördert wird. Vor allem bei hohen Einspritzvolumenströmen bewährt sich diese Dynamik, vor allem, um durch gezieltes und schnelles Bremsen Druckspitzen und damit Überfüllungen zu verhindern.
Regelung in der Nachdruckphase
Die Nachdruckphase ist ebenfalls entscheidend für die Bauteilqualität. Sie wird in der Regel als quasi statischer, druckgeregelter Prozess ausgeführt, zu dem zuvor ein Maschinen-Einsteller die optimalen Parameter ermittelt hat. Sowohl kurzfristige Einflüsse in der laufenden Produktion, wie Viskositätsschwankungen in der Schmelze, sowie langfristig auftretender Verschleiß an der Rückstromsperre und anderen mechanischen Komponenten bleiben dabei unberücksichtigt. Das kann langfristig zu Schwankungen im Werkzeuginnendruck und damit zu unregelmäßiger Teilequalität führen. Um Störeinflüssen entgegenwirken zu können und Druckschwankungen aktiv auszugleichen, erhält die Software vom Sensor in Echtzeit erfasste Signale des Werkzeuginnendrucks. Dadurch ist der ReferencePilot in der Lage, die Innendruckkurve vom aktuellen Ist- auf den gewünschten Soll-Wert zu regeln. Bei der Regelung mit dem ReferencePilot werden die Druckverhältnisse im Werkzeug von Schuss zu Schuss exakt der Referenz angepasst und dabei der Ist- auf den Soll-Wert gehoben. Resultat sind ein konstantes Schussgewicht und gleichbleibende Teilequalität.

Die prozesssichere Verarbeitung von Rezyklaten stellt hohe Anforderung an die Regel- und Steuerungstechnik von Spritzgießmaschinen.
Um den ReferencePilot nutzen zu können, bedarf es zweier Voraussetzungen. Die Spritzgießmaschine muss mit dem Xw ScrewPilot ausgestattet sein. In der Werkzeug-Kavität muss genug Platz sein, um einen Drucksensor zu installieren. Eine Alternative ist der neue Xw Control Recyclate- Pilot, der den Spritzgießprozess direkt in der Einspritz- beziehungsweise Formfüllphase allein auf Basis von Daten aus der serienmäßigen Maschinen-Sensorik regelt.
Prozessregelung per Knopfdruck
Der Bediener optimiert die Prozesseinstellungen wie gehabt, sodass die erforderliche Qualität des Gutteils erreicht ist. Diese Referenz wird per Steuerungsbefehl an die Pilotfunktion übergeben. Ein weiterer Befehl aktiviert den Recyclate-Pilot. Dieser analysiert daraufhin das Einspritzverhalten und sorgt dafür, dass das eingespritzte Volumen und somit die Formfüllung konstant bleibt. Dazu wird in der Einspritzphase das Ereignismuster in dem selben Zyklus mit der eingegebenen Referenz verglichen und der Umschaltpunkt gegebenenfalls kurzfristig angepasst. Zusätzlich ergibt sich durch die Korrektur des Dosiervolumens auch zyklusübergreifend eine höhere Stabilität des Gesamtprozesses.
Anwenderwissen immer gefragt
Die Steuerung ist der intelligente Kopf einer Spritzgießmaschine und kann den Bediener umfassend und aktiv unterstützen. Mit Hilfe digitaler Pilotfunktionen lässt sich bei der Verarbeitung von Rezyklaten die Prozesssicherheit durch aktive Regelung in der Einspritz- und Nachdruckphase deutlich steigern. Das Einspritzprofil und der Füllvorgang des Formteils bleiben dabei stabil und entsprechen der vorgegebenen Referenz. Unzureichende Materialeigenschaften von Rezyklaten lassen sich aber natürlich nicht generell überwinden, sodass der Steigerung der Teilequalität Grenzen gesetzt sind. Die Kenntnis und Erfahrung des Anwenders sind immer wegweisend und entscheidend dafür, welches Konzept bei welchem Prozess gute Ergebnisse liefert. In der Zukunft könnten hierbei übergeordnete, KI-gestützte Methoden zusätzlich unterstützen.
Autor: Dr. Thomas Walther, Abteilungsleiter Verfahrens- und Prozessentwicklung, Arburg