Thermische Speicher

Dekarbonisierung industrieller Wärme

Die Klimaneutralität ist für energieintensive Branchen wie die Verpackungsindustrie eine besondere Heraus­forderung. Um die Dekarbonisierung auch in der Verpackungsindustrie erfolgreich umzusetzen, ist es entscheidend, dass die Produktion von Dampf und Wärme sowohl zuverlässig als auch kosteneffizient erfolgt. Thermische Speicherlösungen wären hier eine Lösung.

Thermische Speicher können überschüssige Energie speichern, was eine echte Dekarbonisierung ermöglicht. (Bild: Energynest)

Von Pappe über Kunststoff bis hin zu Glas und Aluminium hat die Verpackungsindustrie in der jüngeren Vergangenheit bereits einige Anstrengungen unternommen, sich nachhaltiger aufzustellen. Neben den gesetzten Klima­zielen geht dieses Bestreben nicht zuletzt auch auf das ge­stiegene Bewusstsein der Konsumenten für Verpackungen mit einer guten Ökobilanz zurück. Ein Fokus der Industrie liegt demnach zurecht auf dem Thema der Kreislaufwirtschaft und der Recycelbarkeit des Materials, aber auch die Verschiebung des Energiemixes hin zu erneuerbaren Energien in der Produktion. Doch während der Ausbau der erneuerbaren Energien Fortschritte macht, wird die Herausforderung der indus­triellen Prozesswärme und des Prozessdampfes bisher noch übersehen und das über viele Industriezweige hinweg. Hier set­zen thermische Speicherlösungen an, die einen wichtigen Beitrag dazu leisten können, die Abhängigkeit von fossi­len Brennstoffen in der Produktion von Prozesswärme und -dampf zu reduzieren und die Integration erneuerbarer Energien in der Industrie voranzutreiben.

Resilienter und wettbewerbsfähiger aufstellen

Bekanntermaßen ist die Energiespeicherung ein zentraler Aspekt der Energiewende. Sie soll die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen beenden und die Energiewende in der globalen Industrie vorantreiben. Daher liegt in der thermischen Energiespeicherung ein enormes Potenzial für die Dekarbonisierung von industrieller Wärme. Die Realität ist nämlich weiterhin, dass Biomasse endlich ist, Geothermie nur in kleinen Teilen Europas wirtschaftlich zur Verfügung steht und der Wirkungsgrad von Wasserstoff aus Strom zur Wärmeerzeugung ­momentan bestenfalls bei 50 Prozent liegt. Zudem dürfte grüner Was­serstoff erst zu spät flächendeckend verfügbar sein und bleibt absehbar zu kostbar, um ihn in Grundlast zu ver­brennen. Zukunftsfähige grüne Lösungen zur Energiespeicherung wie ThermalBattery hingegen stehen heute schon zur Verfügung. Thermische Speicherlösungen sollten aber nicht nur im Zu­sammenhang mit dem Erreichen von Klimaschutzzielen betrachtet werden. Auch aus betriebswirtschaftlicher Sicht bieten sie große Potenziale. Durch die Dekarbonisierung kann sich die Verpackungsindustrie insgesamt resilienter und wettbewerbsfähiger aufstellen, indem sie die Ab­hängigkeit von fossilen Energieträgern reduziert und somit geopolitische Risiken minimiert. Durch die Implementie­rung von Speicherlösungen können vergleichsweise güns­tige und dezentrale erneuerbare Energien integriert werden und Versorgungs- und Kostensicherheit langfristig gewähr­leistet werden.

Das Projekt umfasst eine Plattform für konzentrierte Solarthermie mit 2.240 Oberflächenspiegeln und einem Spitzenertrag von 2,7 GWh thermischer Energie. (Bild: Energynest)

Wartungsarm bei hoher Lebensdauer

Die ThermalBattery von Energynest, Billingstad, Norwegen, besteht aus Karbonstahl und dem eigens in Zusammen­arbeit mit HeidelbergCement entwickelten Spezialbeton Heatcrete. Die Wärmespeicher können modular erweitert werden, je nachdem, wie viel Speicherbedarf besteht. Beim Design wurde auf bewegliche Teile verzichtet, weshalb der Speicher wartungsarm ist. Die Lebensdauer liegt bei 30 Jahren und mehr. Ein Modul des thermischen Energiespeichers hat eine maximale Speicherkapazität von 1 bis 2 MWh; abhängig von der Temperaturdifferenz während des Betriebs, der Energiedichte und den Lade- und Entladegrößen. Das Modul wiegt 47 Tonnen und hat die Größe eines normalen 20-Fuß-Schiffscontainers, was den Transport und die Instal­lation vereinfacht. DieModule können dann kombiniert und flexibel an den jeweiligen Speicherbedarf angepasst werden. In einer klassischen mittelständischen Produktionsanlage kann so beispielsweise eine Spei­cher­kapazität zwischen 8 MWh bis 100 MWh bereitgestellt werden. Als leicht skalierbares Speichersystem kann die ­ThermalBattery auch jederzeit nach Bedarf erweitert ­werden. Das ermöglicht eine individuelle und effizien­te Wärmeversorgung, die optimal auf die spezifischen Anforderungen des jeweiligen Produktionsstandortes zugeschnitten ist. Die Aufladung der Wärmebatterie erfolgt durch die direkte Durchströmung von heißer Wärmeträgerflüssigkeit durch eingebettete Stahlrohre von oben nach unten, wodurch Wärmeenergie auf das Kernspeichermaterial übertragen wird. Im Entlade­betrieb kehrt sich der Fluss um: Kalte Wärmeträgerflüssig­keit wird unten eingespeist und verlässt die ­Batterie anschließend erhitzt, um Ener­gie von der Oberseite des thermischen Energiespeichers abzugeben. Dieses Prinzip funktioniert ebenso effizient mit Wasser und Dampf. Somit dient der Wärmespeicher beim Laden als Dampfkühler und Kondensator, während er im Entladen als Kessel und Überhitzer fungiert. Als Langzeitspeicher unterstützt die ThermalBattery flexi­­ble Energiezyklen. Sie wird etwa drei bis vier Stunden lang aufgeladen und immer in der gleichen Zeit entladen. In der Regel sind für Anwendungen ein bis zwei Lade- und Ent­ladevorgänge pro Tag vorgesehen. Das Energiespeicher­system ist mit einem energetischen Wirkungsgrad von bis zu 98 Prozent hochgradig effizient. Der optimale Wirkungsbereich des Energiespeichersystems liegt zwischen 120 °C und 400 °C. Der Speicher kann dabei auf verschiedene Anwendungen individuell angepasst wer­den, wodurch sich vielfältige Konfigurationen und Einsatz­gebiete in einem industriellen Kontext erschließen. Ob dies nun Trocknungsprozesse oder die Vorbereitung der Zellu­­lose in der Papier- und Kartonherstellung, Thermoform­­prozesse oder die Extrusion in der Kunststoffverarbeitung oder Sterilisationsverfahren bei Lebensmittelverpackungen betrifft.

Vollständige Integration erneuerbarer Energien

Um Klimaneutralität in der Verpackungsindustrie zu erreichen, kommt es auch darauf an, die gegenwärtig noch genutzten fossilen Brennstoffe zu ersetzen. Hier bietet sich vor allem Strom aus erneuerbaren Energiequellen als Alternative zum Erdgas an. Idealerweise kann die Elektri­fizierung der Wärme- und Dampfproduktion den Bedarf an fossilen Energien für Teilprozesse gänzlich eliminieren. Doch ohne Speicherung ist die Produktion nur auf Tag­zeiten begrenzt, auch wenn Dampf durchgängig benötigt wird. Thermische Speicher können überschüssige ­Energie für die Dampferzeugung bei Nacht speichern, was eine echte Dekarbonisierung ermöglicht. Das Unternehmen Energynest hat diese Anwendung mit seinem Partner Avery Dennison, einem Hersteller von selbstklebenden Materialien, in Belgien implementiert. Das Projekt umfasst eine Plattform für konzentrierte Solarthermie (concentrated solar thermal – CST) mit 2.240 Oberflächenspiegeln und einem Spitzenertrag des Solarfelds von 2,7 GWh thermischer Energie sowie sechs thermische Speichermodule mit einer Kapazität von 5 MWh thermischer Energie. Dort wird Solarenergie genutzt, um einen Teil der Trocknungsöfen in der Produktion zu be­treiben, die im Beschichtungsprozess der am Standort her­gestellten Haftklebstoffprodukte eingesetzt werden. Nicht bedarfsgerecht erzeugte thermische Energie wird dabei im Energiespeichersystem gespeichert und in der Nacht oder bei sonstigen Bedarfsspitzen abgegeben, was den Einsatz von fossilen Brennstoffen vermeidet und somit zu einer weiteren Reduzierung der Emissionen beiträgt. Der Einsatz von thermischen Speichern beispielsweise bei einem Papierhersteller kann bei einer angenommenen Speichergröße von 8 MWth in Kombination mit einem Elektrodendampfkessel von 5 MWel zu signifikanten Ein­­sparungen führen. In dem Szenario könnte der Verbrauch nach Berechnungen von Energynest jährlich durchschnittlich um 11 GWh Erdgas und 2.300 Ton­nen CO2 gesenkt werden. Die Gesamtersparnis pro Jahr könnte so bis zu 1,3 Millionen Euro pro Jahr betragen, was zu einer Amortisierung der Anlage nach vier Jahren Betrieb führen würde.

Die ThermalBattery besteht aus Karbonstahl und dem eigens in Zusammenarbeit mit Heidelberg Cement entwickelten Spezialbeton Heatcrete. (Bild: Energynest)

Solarenergie wird zum Teil für die Trocknungsöfen in der Produktion genutzt. (Bild: Energynest)

Deutliche Verbesserung der Energieeffizienz

Neben der Elektrifizierung können thermische Speicher aber auch bisher ungenutzte Potenziale bei der Abwärme heben. Die Rückgewinnung von Überschusswärme und ihre Speicherung für die spätere erneute Nutzung als Primärenergie in einer Art Prozesswärme-Recycling verringert eben­falls die Abhängigkeit von fos­silen Energiequellen, spart Energiekosten und Emissionen. So arbeiten viele Papierhersteller bereits jetzt mit Wärmerückge­winnungs­anlagen. Ther­malspeicher können diese ­sinnvoll ergänzen und eine flexible Steuerung des Wärme­recy­clings ermöglichen. Dieses Verfahren findet bei einem der weltweit größten Düngemittelhersteller Yara im norwegi­schen Porsgrunn Anwendung. Die dampfbasierten thermi­schen Speicher – die ersten ihrer Art im industriellen Ein­satz – ermöglichen Yara, nicht bedarfsge­recht erzeugte Energie in Form von Dampf zurückzugewinnen und je nach Einsatzbedarf für verschiedene Prozesse der Anlagen ­wieder in das Dampfnetz einzuspeisen. Diese Form des so­genannten Steam Grid Balancing sorgt dafür, dass weniger fossile Brennstoffe für die Erzeugung zusätzlichen Dampfs eingesetzt werden müssen und Fluktuationen in Produk­tion und Energieeinspeisung ausgeglichen werden können.

Kernbestandteil klimaneutraler Produktionsprozesse

Der Handlungsdruck für die Industrie ist enorm: Schnelle Implementierung und Skalierung von klimafreundlichen Technologien sind nun entscheidend. Die deutsche Industrie muss dafür ihre Zurückhaltung aufgeben, sie muss Energiebezug vom Leidens- zum Lösungsthema machen und verschiedene Technologien zu einem nachhaltigen Versorgungsportfolio kombinieren. Thermische Speicher können dabei helfen, die industrielle Wärme- und Dampf­versorgung zu sichern und zugleich ein Kernbestandteil klimaneutraler Produktionsprozesse werden. Sie sind nachhaltig und wirtschaftlich zugleich, schnell imple­mentiert und skalierbar. Das macht thermische Speicher zu wichtigen Bausteinen für die Energiewende in der Verpackungsindustrie.

Autor: Dr. Christian Thiel, Chief Executive Officer, Energynest

Vorherige Seite
Nächste Seite